Vom Zuhören. “Listening Session” im Gruppenunterricht
Auch in diesem Schuljahr habe ich an der Musikschule Wiener Neudorf , an der ich Gesang (Jazz/Pop) unterrichte, eine „Listening Session“ als Ergänzungsfach angeboten. Entstanden ist diese Idee vor zwei Jahren, und zwar aus einer Not heraus: wir durften Covid-bedingt nicht in der Gruppe singen und ich war auf der Suche nach einer alternativen Möglichkeit, diese Stunden zu gestalten.
In den letzten Jahren habe ich immer wieder festgestellt, dass im regulären Instrumental/Gesangsunterricht oft nicht genug Zeit ist, um sich ausgiebig dem bewussten Zuhören von Musik zu widmen. Hinzu kam das Bedürfnis, den Musikschüler*innen (die in meinem Fall Jugendliche & Erwachsene waren) auch abseits der Klänge, die sie normalerweise hören (...die sie zum Beispiel über ihr Instrument kennengelernt haben oder auch über ihre persönliche Lieblingsplaylist hören) vorzustellen, um ihren musikalischen Horizont weiter werden zu lassen.
Aber auch, um die Aufmerksamkeit im Moment zu schulen und ein genaues Zuhören zu etablieren, ...das das Gegenteil vom „berieseln lassen“ darstellt. Etwas, das mit Hilfe von Musik so gut geübt werden kann, und das sich dann aber auch im Alltag, in der zwischenmenschlichen Kommunikation, in der Arbeit, im Familienleben positiv auswirken kann. Etwas, das gerade in dieser Zeit, in der wir immer kleinere Aufmerksamkeitsspannen haben, von enormer Wichtigkeit ist.
Mit Hilfe kleiner Hör-Impulse haben wir uns in diesen Einheiten unterschiedlichsten Klängen angenähert, vom großorchestralen Werk bis hin zu Obertonmusik, vom Popsong über Filmmusik, von Minimal-Music hin zu meiner eigenen Musik; ...quer durch die Musikgeschichte haben wir genau hingehört, haben wir versucht, Instrumente und deren Klangfarben zu erkennen, haben wir ein und dasselbe Stück mehrmals gehört. Wir haben aber auch frei-assoziativ Gedanken und Bilder notiert, die während des Hörens in uns aufgetaucht sind, Geschichten, die die Musik erzählt, ohne Worte zu benötigen. Und im späteren Austausch gestaunt, wie großartig Musik in der Lage ist, die Fantasie anzuregen.
Ich wollte auch ein Bewusstsein darüber vermitteln, wie bestimmte Musik aufgenommen und produziert wurde, woraus ein Arrangement eigentlich besteht, was eine gute Komposition ausmacht. Und wir haben uns gefragt, weswegen uns das eine Musikstück berührt, das andere weniger.
Und gleichzeitig ein Moment, in dem jeder die Möglichkeit bekommt, anzukommen, die Geschehnisse des Tages hinter sich zu lassen. Eine Stille als Basis.
Oftmals erklang dann in diese Stille hinein das erste Musikstück, und zwar ganz „anonym“, also ohne eine Information darüber zu bekommen, worum es sich handelt. Musik zu hören, ohne vorab im Kopf schon Bilder oder Erwartungen zu kreieren, ist nochmal eine ganz spezielle Erfahrung, die ich immer wieder teilen möchte.
Entlang des Mödling-Bachs, der in so vielen klanglichen Facetten an uns vorbeirauschte, quer durch das abendliche Vögelgezwitscher, gelegentlich ein Fahrradgeräusch im crescendo und decrescendo,…
Klang und Musik ist überall, Musik ist Bewegung, wir sind Bewegung, und wir haben die Möglichkeit, in jedem Moment diese Ebene in unsere Aufmerksamkeit zu integrieren, sie bewusst zu erleben, sie in uns aufzunehmen, – indem wir unsere Perspektive erweitern und stille Beobachtende werden.
Als wir dann wieder zurück in den Unterrichtsraum kamen spielte ich den Schülerinnen abschließend mein „Streichquartett No.1 (Neue Geschenke der Nacht)“ vor, bei dem ich dem Thema Stille eine besondere Aufmerksamkeit schenkte. In den ersten vier Takten dieser Komposition sind nur Pausen in den Noten zu sehen.
An diesem Montag-Abend dauerte unser Silent Walk in der schönen Umgebung rund um die Musikschule vier Takte lang.
Zeit ist immer relativ.