Streichquartett No.2 - Movements from a common ground, 2022

Streichquartett No.2 - Movements from a common ground


Ángela Tröndle (April - Juni 2022)
(Im Auftrag des
Minetti Quartett)

Intro
Das erste, das in mir auftauchte, als ich diesem neuen kompositorischen Vorhaben begonnen hatte Raum zu geben, war eine Art Grundschwingung. Ich glaube mich zu erinnern, dass es einmal kurz vor dem Einschlafen plötzlich auftauchte, ein Gefühl für einen Beginn. Ein Beginn, der eine Basis bilden sollte, auf der alles andere aufgebaut werden würde. Es war eine Grundschwingung, die ich auf dem Ton G hörte, der tiefste gemeinsame Nenner eines Streichquartetts, und zugleich eine gemeinsame, hörbare Mitte, die diesem Klangkörper innewohnt; so etwas wie der Grund, der Boden, die Erde. Ein common ground; Von dem ausgehend Wachstum passieren darf, - in die Höhe genauso wie in die Tiefe, Wachstum, das immer auch Bewegung bedeutet, Bewegungen im und nach Innen genauso wie ins Außen,- movements from a common gound. Die vier Sätze sind zu Beginn jeweils vom Klang unterschiedlicher Leersaiten geprägt, die ich wie eine Art Schnittstelle zwischen Instrumenten, Musikern und der Musik empfinde. Ausgehend von diesen Grundgedanken entwickelte sich auch bald thematisch eine Richtung, die unumgänglich einfließen musste: der lang andauernde Winter und das für mich, aber auch für sehr viele andere Menschen energetisch und emotional sehr fordernde Frühjahr 2022, das späte und zögernde „Durchbrechen“ der Natur in den Frühling, - all das begleitete mich beim Schreiben dieser Komposition und wurde Teil der Musik.


Streichquartett No.2

Movements from a common ground

I.
Zu Beginn eine Grundschwingung.
Im Einklang eine Schwere, die jede Sehnsucht nach Bewegung erdrückt.
Das lange Ende eines Winters.
Dann, immer klarer, tritt eine Sehnsucht hervor, erhebt sich zögernd. Der Wunsch,
aus all dem herauszutreten, auszubrechen, der Wunsch nach Wachstum und Aufblühen. Noch ist es nicht Zeit, noch ruht die Erde, scheinbar; noch ist es nur als leise Ahnung spürbar, ein Sehnen, das nur im Inneren Form und Gestalt annimmt. Es ist eine Sehnsucht, die sich ihrer Wurzeln bewusst ist, - ein feines Geflecht aus Zuversicht, das sich um ihre Schultern legt. Und dann landet sie doch wieder unten, am Boden, wird sanft zurückgeworfen, herausgerissen aus dem Träumen von nicht-vorhandenem, zurück zum Grund, zum Beginn. Doch es ist Zeit vergangen, und die Zeit hat Veränderung mit sich gebracht, die sich erst jetzt bemerkbar macht: der Boden ist ein anderer. Eine neue Basis für einen Neubeginn.

II.
Der Grund und Boden hat sich erhoben.
Noch klingen die Saiten leer, doch wie vom aufgeregten Atemwinde bewegt streichen die Haare der Bögen über sie, zeichnen Bewegung in den Raum, die sich hörbar erhebt aus dem Boden. Bewegungen, die sich nun schon langsam trauen, die sich mit zögerndem Schwung Richtung Aufbruch begeben, endlich Ausbruch, um sich dann immer übermütiger ins Wachsen und Leben zu stürzen. Ein langes Durchbrechen, dem die Sehnsucht zugrunde liegt, dem aber auch eine Vorfreude innewohnt, die später in freudiges Erwachen und ein Gefühl von endlich-weitergehen-können mündet.
Um abschließend in einen einzigen Ton, wieder einer Leersaite, zu münden: ein plötzliches Stehenbleiben und Staunen.

III.
Aus diesem heraus wächst dann allmählich ein aufmerksam-stetiges, vorsichtig schreitendes Gehen, auf dem basierend sich nun, strahlend und zugleich ruhend, blühend und grünend all die Pracht zeigt und erhebt, die gewachsen ist, die werden durfte was sie ist, weil sie ihr eigenes Tempo leben durfte. Den Boden stets spürend, mit jedem Blick sich noch ein Stück aufrichtend, mit jedem Hinsehen wieder Neues, wieder Anderes entdeckend. Langsam sind die Bewegungen anfangs, um ja nichts zu übersehen, alles aufzunehmen, am Ende aber dann ein von Freude und Leben erfülltes Strömen und sich-ausbreiten, eine neugeborene Leichtigkeit.

IV.
Um ganz zum Schluss wieder zum Anfang zurückzukehren, den Kreis zu schließen, und dabei die Form und Gestalt des Sehnens und Wünschens plötzlich verwandelt als Teil der Gegenwart wiederzuerkennen. Und so daraus ein er-leben zu machen, welches wiederum eine neue Basis bildet, für all das Nächste, das im Innen bereits zu schwingen begonnen hat.


Die Uraufführung der Komposition fand am 18.10.2022 im MuTh in Wien statt.
Es spielte das Minetti Quartett.

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Pathways of a sleepless mind, 2022, Komposition für Klaviertrio

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Nachklang zu meiner Unterrichtstätigkeit am Jazzseminar Schönbach, August 2022