Nachklang zu meiner Unterrichtstätigkeit am Jazzseminar Schönbach, August 2022

Das Jazzseminar in Schönbach (im Waldviertel) findet im ganzen Ort verteilt statt und wird seit 15 Jahren von Alfred Bäck (Fred) organisiert. Seit kurzem gibt es auch ein sehr schönes, von Fred geschaffenes Seminar- & Gästehaus, ein Gasthof mitten im Kern des Ortes.
Auch dieses Jahr war es wieder eine unglaublich schöne und intensive Zeit für mich, und auch wenn es sich jedes Mal dort (...ich war dieses Jahr zum dritten Mal als Leiterin der Gesangsklasse mit im Team) wieder wie ein Ankommen anfühlt, ist es doch jedes Mal auch so anders.


Tag 0 & 1: Am Freitag trudeln wir, ich und die meisten meiner Kollegen, schön langsam ein, eine erste Probe findet am Nachmittag statt. Das Referentenkonzert ist für mich immer wieder eine schöne Gelegenheit, alte Stücke neu verpackt zu spielen, aber auch ganz instrumental als Teil des Bläsersatzes zu agieren; dieses Mal kommt mir abends nach der Probe relativ spontan noch ein Text, zu dem am kommenden Morgen noch ein paar Akkorde auftauchten – all das habe ich dann halb ausgeschrieben, halb improvisiert mit den wunderbaren Kollegen Benny Omerzell (keys) und Martin Eberle (trumpet) abends auf die Bühne gebracht, ... ein sehr schönes Erlebnis. Das Konzert hat in Summe ein sehr abwechslungsreiches, buntes Programm, passend zu all den musikalischen Persönlichkeiten im Referententeam, die Stimmung an diesen Abend ist bereits sehr besonders.

Tag 2
Sonntag Vormittag ist der erste Unterrichts-Tag mit meiner dieses Mal 14-köpfigen Gesangsklasse. Ich beginne den Morgen mit einem bewussten Ankommen im Raum, im Körper, in unserer Atmung. Eine erste Stille darf sich breit machen und uns als Basis dienen für alles, was noch folgen wird. Aus der Stille heraus wachsen unsere Atemgeräusche, diesen Klang bauen wir in eine erste gemeinsame Improvisation ein. Auch hier kommt das Gefühl auf, eine Basis zu nähren. Der Atem als Basis für Leben aber auch für jeden Ton, den wir später singen werden. Es ist ein erstes gegenseitiges Kennenlernen, ein erstes den-gemeinsamen-Klang-finden. Dieses Jahr habe ich neben einigen Improvisations-Spielen und Schreib-Impulsen im Vergleich zu den letzten Jahren nur relativ wenig ausnotiertes Material mitgebracht – konkret ein 8-taktiges Thema mit dem Titel „The Tree of my Family“, das ich 2019 komponierte. An diesem Vormittag teilen wir die Stimmen ein, lernen die Melodien und den Rhythmus, orientieren uns in der Form. Ausgehend von diesem kurzen Stück war es mein Wunsch, im Laufe der Woche gemeinsam zu diesem Thema weiteres Text- und Klang-Material zu sammeln, welches dann in unserer Schluss-Performance am Freitag in einem Ganzen verpackt einfließen sollte. Und so schickte ich meine Teilnehmenden am Ende des ersten Tages mit der Aufgabe los, sich Gedanken zum Thema Familie, Wurzeln, Bäume, Leben, …, zu machen, und aus diesem Gedankengut einen Ausschnitt zu wählen, der dann weiterverarbeitet werden würde.

The Tree of my Family

So I lean myself on a tree
The tree of my family
And with my closed eyes I see
Beneath the ground
Stories unknown
Still to be told
To be found

(…der Text zu meiner 8 - taktigen Kompositions-skizze)

Am Nachhause-Weg in die Unterkunft komme ich an einer Mauer vorbei auf der wunderbar feine Gräser mit kleinen silberblättrigen Kreis-Enden wachsen, ich pflücke einen Strauss und nehme sie mit in mein Apartment. Abends bin ich kaum mehr zu etwas in der Lage – die Intensität des ersten Tages hatte es in sich; schwarzer Farbe beim Rinnen zuzusehen bringt wieder etwas Leere in mir mit sich, was sich sehr gut anfühlt.

Tag 3
Den Vormittag starten wir mit einer Improvisation, in der wir mit Hilfe von unterschiedlichen Geräuschen Klanglandschaften entstehen lassen: jeder zieht einen Zettel, auf jedem davon ist in aller Kürze ein Geräusch oder Charakter skizziert (...vom Rasensprenkler zum vor-sich-hin-grantelnden Pensionisten zum kleinen Zwerg, von Schlafgeräuschen hin zur Lottofee über die vielen Facetten des Lachens, um nur einige zu nennen…), und dann entscheidet der Zufall, welche dieser Klänge einen gemeinsamen Auftritt haben. Mit Hilfe von Formskizzen und Dynamik entstehen kurze Miniaturen, die auf diesen Geräuschen basieren; wir gehen ihnen auf den Grund, erforschen ihre Essenz und lassen sie weiterwachsen. Übungen dieser Art zeigen immer wieder schön, wie man aus wenig viel machen kann. Dieser leichtfüßige Morgenstart scheint dann auch eine gute Basis dafür zu sein, was danach folgt: wir teilen die Ausschnitte der Text-Impuls-Aufgabe miteinander, jeder liest seinen Beitrag, den er zu meinem Thema „The Tree of my Family“ geschrieben hat, vor. Vom Einzeiler zum kurzen Vers, vom mehrstrophigen Gedicht zum längeren Text, auf Deutsch, Englisch und Mundart, ...und jeder auf seine so eigene, persönliche und mutige Weise. Eine sehr besondere Atmosphäre macht sich im Raum breit. Mir ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, wie all das auf natürliche Weise in unser Abschlussstück passen wird, ich spüre aber, dass es Möglichkeiten geben wird. Abends findet ein von mir geführter Silent Walk statt. Wir spazieren in einer kleinen Gruppe schweigend den Schönbacher „Lichtweg“ hinauf und bleiben oben, rund um das große Plateau, lange sitzen. Eine wunderbare Ruhe macht sich breit, die schweigende Präsenz all dieser Menschen an diesem speziellen Ort ist sehr berührend. Zurück im Seminarzentrum treffen wir hinten im Hof in einem Stadl ein, um dort zu improvisieren. Das erlebte in Klanglandschaften zu verwandlen, in denen gesungen und gespielt wird, auf Instrumenten wie auf herumliegende Blechstücken,...und so klingt alles auf natürliche Art und Weise wieder aus.

Tag 4
Morgens schicke ich meine Klasse in Kleingruppen zu von mir vorher ausgewählten Plätzen im Dorf Schönbach. Dort kreiert jede Gruppe für sich einen sogenannten „Lokal-Augen und Ohrenschein“. Dabei handelt es sich um ein Improvisations- und Schreib-Spiel, in dem es mir darum geht, dem Ort, in dem wir uns da in dieser Woche befinden, auf bewusste Weise zu begegnen. Im Moment genau hinzuhören, genau hinzusehen, im intuitiven Schreiben dieses festzuhalten um es dann, vor Ort, in einer Improvisation zu verpacken. Diesen Platz im Freiraum also selbst auch zu beschallen, nebst all der Klänge und Geräusche, die dort im Moment präsent sind, sich hörbar mit dem Klang des Ortes zu verbinden. Im Gegenteil zur ersten Text-Impuls-Aufgabe vom Sonntag, in der es darum ging, nach Innen zu horchen, aber auch in die eigene Vergangenheit zu blicken, war an diesem Vormittag ganz das Hier und das Jetzt Impulsgeber für Neues. Die zweite Hälfte des Vormittags verbringen wir wieder in der großen Gruppe und probieren und gestalten erste Text-Verbindungen für unser Abschlussstück „The Tree of my Family“, spielen uns mit Klang- und Textcollagen und machen eine erste Einteilung, welcher Text in welchem Teil des Stückes in welcher Interpretation auftauchen könnte.
Später am Nachmittag, nach einigen Stunden Einzelunterricht, genieße ich eine erste Massage bei Mariana – eine großartige Idee, wie ich finde, in einer intensiven Seminarwoche auch die Möglichkeit anzubieten, sich kleine Massage-Slots zu buchen. Ich komme gefühlt vom Kopf wieder in den Körper zurück und werde all die kleinen Verspannungen, die sich in der Aufregung der ersten Tage so gebildet haben, zumindest ansatzweise los.

Tag 5
Mittwoch Vormittag ist am Jazzseminar Schönbach immer frei. So wie der dritte Tag beim Schul-Skikurs auch immer frei ist. Aber vor allem wohl deswegen, weil am Dienstag abend die legendäre Disco stattfindet, die die meisten erst morgens verlassen. Zu diesen meisten gehöre ich nicht unbedingt, daher genieße ich den freien Vormittag bei einem verlängerten Frühstück. Der Freiraum und das Allein-sein lässt mich bald auch wieder vor meinen Notizen Platz nehmen und die bereits entstandene Form-Skizze für den Abschlussbeitrag wächst weiter; am späten Vormittag sitze ich nochmal allein für einige Zeit oben am Plateau des Hügels, auf dem ich am Montag im Rahmen des Silent Walks auch schon gesessen bin. An diesem Vormittag säuselt der Wind in den Bäumen hinter mir fein und dicht und irgendwie spüre ich all das als passierte es auf der Oberfläche meines Rückens. Die Geräusche des Windes fühlen sich an wie die gesammelte Energie der letzten Tage. Und vor mir sehe ich die große Weite, ein 30 Meter Durchmesser Kreis-Plateau, dahinter Landschaft. Und empfinde eine große Offenheit dem gegenüber, was hier noch kommen wird. Mittwoch Mittag gibt es immer eine Einladung zum Fischessen für die „Crew“ des Jazzseminars von meinen liebenswerten Gastgebern, der Familie Grain. Es tut sehr gut, dieses herrliche Mittagessen im kleinen Kreise der Kollegen zu verbringen, so etwas wie ein kurzer Ruhe-Punkt. Nachmittags gebe ich, so wie jeden Nachmittag in dieser Woche, Einzelstunden. Jeden Tag lerne ich ein paar SchülerInnen meiner Klasse noch ein bisschen besser kennen, improvisiere mit ihnen, arbeite an Stimmklang oder Technik, Komposition oder Songwriting. Manchmal arbeiten wir auch an den Stücken, die sie in ihrem Ensemble singen. Es macht unglaubliche Freude, so unterschiedliche und talentierte Menschen unterrichten und begleiten zu dürfen.
Am Ende des Unterrichtstages fällt mir dann eine Melodie zu einem der Texte einer meiner Schülerinnen ein. Diese möchte ich als Abschluss für unser Stück vorschlagen.

Tag 6


Tree of life
Room for us all
Language lost
Anscestors call
Hard working folk
Longing for rest
Old melodies' tingle
Grounds us the best

Text © Babsi Geml, Teilnehmerin der Gesangsklasse

Am Donnerstag morgen stelle ich meine kleine Melodie vor, die mir zu diesem Text, von meiner Schülerin Babsi geschrieben, am Mittwoch Nachmittag noch gekommen ist. Wir wiederholen sie sie nach einer kurzen Anfangsmeditation mehrmals zu einem liegenbleibenden „Drown“ vom Keyboard und kommen bald in einen schönen Gesamtklang. Später an diesem Vormittag arbeiten wir weiter am Thema von „Tree of my Family“, der Chor-Klang beginnt sich langsam zu öffnen, die Töne werden klarer und sicherer. Ein besonderer Fokus gilt nun auch dem gemeinsamen Spüren von Puls, Rhythmus und Tempo, dem gemeinsam-in-eine-Richtung-denken, und auch dem Absprechen von Phrasen. Das Einbauen der Texte der Teilnehmenden wird an diesem Vormittag auch noch zum Thema, auf improvisatorische Weise probieren wir Möglichkeiten aus um eine gute Balance zwischen Solo- und Gruppenklang zu finden. Den Nachmittag lasse ich nach dem Einzelunterricht im Seminar- & Gästehaus Fred ausklingen, wo Caroline mir herrlich frische Crepes zubereitet. Ein schöner Ort, dieser Innenhof, in dem in dieser Woche so viele Begegnungen und Gespräche passieren dürfen, was ich sehr genieße. Später geht es dann zum Fussballplatz, wo das schon legendäre Fussballmatch des Seminars stattfindet.

Tag 7
Den Freitag starten wir mit einer geführten Meditation, die in gemeinsames Tönen übergeht. Konkreter: „Chakra-Tönen“, bei der jedes der 7 Chakren (Energiezentren im Körper) einen bestimmter Vokal zugeordnet bekommt, den wir während des Tönens gedanklich bewusst in die jeweilge Körperregion schicken. Die Verbindung von Stimmklang und Körperbewusstsein liegt mir sehr am Herzen, an dieser Methode schätze ich zudem auch die zu jedem Chakra dazugehörigen Themen, die ich während des Tönens in Ansätzen skizziere. Von der Verwurzelung zur Kreativität über die Willenskraft, von der Liebe zur Freude an der Kommunikation, von der Intuition und Vision hin zur abschließenden Verbindung mit dem großen Ganzen, um nur einige zu nennen. Es tut gut, die Intensität dieser Woche auf eine Art einzufangen, stimmlich und körperlich zu manifestieren, eine Verbindung zwischen Geist und Körper herzustellen.
Den restlichen Vormittag widmen wir ganz unserem Auftritt, der am Abend auf dem Programm steht. Unser Unterrichtsraum wird zum Konzertsaal, die Aufstellung der Gruppe auf der Bühne ändert sich, damit auch der Klang, den wir bei der Durchlauf-Probe unseres Stückes nochmal neu kennenlernen. Abends darf all das, was wir im Laufe der Woche gesammelt und erarbeitet haben, dann zur Aufführung gelangen. Aus meinem 8-taktigen Thema ist ein knapp 30 minütiges Stück gewachsen, das so viel berührendes und individuelles in sich trägt. Die Präsenz und Konzentration meiner SchülerInnen ist packend, die Gruppen- so wie die Einzelbeiträge inmitten der Gruppe sind unglaublich stimmig und authentisch. Am Schluss tragen wir dann eine Melodie von der Bühne herunter, gehen singend durch das Publikum, heben die Grenze zwischen Bühne und Publikum auf um das ganze abschließend in einem hintere Raum Saal zu beenden, wieder unter uns, in der Gruppe, in der wir uns am Sonntag morgen zum ersten Mal getroffen haben.
Die anschließende Darbietung des Saxophon-Ensembles von Max Nagl ist eine schöne Weiterführung unseres Auftritts, den ich so bald nicht vergessen werde

Tag 8
Samstag morgen klingt der vergangene Abend noch nach, ich spaziere rauf auf den Hügel, wo all das, was sich am Vorabend beim Konzert, aber auch während der ganzen Woche abgespielt hat, wie ein ganzes Etwas präsent ist. Ich habe die Melodie noch im Kopf, mit der wir unseren Auftritt beendet haben, und singe sie in die Natur hinein, in diesen Moment, an diesem Ort. Den Vormittag verbringe ich im Innenhof des Seminar- & Gästehaus Fred, wo, so wie jedes Jahr beim Jazzseminar, am Samstag Vormittag ein Jazz-Brunch stattfindet. Wieder eine Möglichkeit, in Gespräche zu tauchen, oder aber einfach nur zu lauschen. Da ich am Samstag bereits die Unterrichtstätigkeit der Woche abgeschlossen habe genieße ich den freien Tag, Nachmittags gönne ich mir dann noch eine zweite Massage. Der Abend ist dann gefüllt mit Musik – alle 10 Ensembles, die während der Woche immer Nachmittags probten, bekommen ihren finalen Auftrittsspot ich bin auch dieses Jahr wieder von der Vielfalt begeistert, die hier geboten wird, von der großartigen Arbeit, die alle meine Kollegen hier während der Woche leisten: Benny Omerzell, Clemens Wenger, Alex Machacek, Raphael Preuschl, Herbert Pirker, Max Nagl, Clemens Salesny, Martin Eberle, Andi Schreiber, Sixtus Preiss sowie der Techniker der Konzerte Werner Angerer, es ist mir immer wieder ein Vergnügen! Auch der Organisation möchte ich danken, wir haben das Glück, von einem großartigen Team geführt zu werden, das während der Woche mit Rat und Tat zur Seite steht und aber vor allem durch ihre angenehme Art stets für entspannte Stimmung sorgt: Alfred Bäck, der Organisator dieses Seminars (www.jazz-works.at) außerdem Rainer Strondl, German Schwarz, Caroline Auque, Ulla, Mariana. Ich bin sehr glücklich, ein Teil dieser wunderbaren Woche sein zu dürfen und kann es nur jedem ans Herz legen, sich auch mal anzumelden!

Wer neugierig geworden ist auf meinen Unterricht kann hier mehr lesen.

Ps: Zum Abschluss gibt’s dieses Mal sogar ein Selfie mit Katze von mir .) - sowie nochmal ein Bild von meinem Lieblingsplatz am Hügel oben.

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Streichquartett No.2 - Movements from a common ground, 2022