Cyanotypie-Atelierklasse, Silent Walk und Solo-Konzert in Pöllau – ein Nachbericht

Ankommen

Am frühen Abend des 13.07.2023 komme ich mit voll beladenem Auto in Pöllau an. Es regnet und ist angenehm kühl, ganz im Gegenteil zu der vergangenen Woche. Da der Wetterbericht für die folgenden Tage wieder heißes Sommerwetter prophezeit, genieße ich die kurze Abkühlung bei meiner Ankunft. Diesen ersten Abend nütze ich, um mich mit den Räumlichkeiten vertraut zu machen, in denen mein bevorstehender Kurs stattfinden wird: das Refektorium des Schloss Pöllau, ein wunderschöner, geräumiger Saal mit prächtigem Stuck an den Decken. So leer wie er an diesem Abend noch ist, singe ich auch gleich ein paar Töne, was sich wie eine Art Ritual zum Ankommen anfühlt: diesen Raum erstmal mit dem Klang meiner Stimme zu füllen bevor er der Ort unseres gemeinsamen kreativen Vorhabens wird. Nachdem ich mich mit all meinen Materialien eingerichtet habe, fühle ich mich bereit für die bevorstehenden Tage, auf die ich mich schon sehr freue.

Kennenlernen, Spazieren, Sammeln

Am nächsten Tag strahlt die Sonne als gäbe es kein Morgen. Nach einer kurzen Begrüßung und ein paar Infos zum Verein Styrian Summer Art durch Peter Brandl richten sich dann auch meine vier Teilnehmerinnen Irmgard, Regine, Claudia und Ingrid ihre Arbeitsplätze im Refektorium ein. Wir bereiten alles, was es zum cyanotypieren braucht, vor, um dann, ausgerüstet mit Gartenschere, kleinen Kuverts und Stofftaschen, zu einem gemeinsamen Spaziergang rund um's Schloss aufzubrechen. Ich habe Gefallen daran gefunden, nicht sofort mit bereits mitgebrachtem Material mit dem Bilder-machen zu beginnen, sondern sich noch ein paar Momente in Bewegung, gepaart mit aufmerksamen Schauen, zu nehmen. Und damit auf eine Art auch die Umgebung ins kreative Tun zu integrieren, zuerst im Sammeln von Pflanzen, Steinen oder anderen Dingen, die einem begegnen und ansprechen, später dann im Weiterverarbeiten von all jenem.

 
 

Erste Versuche auf Solarpapier

Wieder im kühlen Innenraum angekommen legen wir die Pflanzen und Objekte auf und verschaffen uns einen Überblick darüber, was wir alles gesammelt haben, was uns angesprochen hat um mitgenommen zu werden. Gleich darauf starten wir mit den ersten Versuchen auf Solarpapier, einem bereits mit lichtempfindlicher Lösung beschichtetem Papier. Da die Technik der Cyanotypie, auch Eisenblaudruck genannt, im Grunde sehr einfach zu erlernen ist, kommen alle schnell ins Experimentieren und wir bekommen ein Gefühl dafür, was sich in welcher Form später auf dem Papier zeigt, wie sich die jeweiligen gesammelten Materialien in dieser Technik verhalten. Der sonnendurchflutete Arkadengang im ersten Stock des Schlosses gleich vor unserem Atelierraum eignet sich wunderbar für die Belichtung unserer ersten Cyanotypien. Bei einer UV-Einstrahlung dieser Stärke dauert es selbst am frühen Vormittag nur ein paar Minuten, bis die Belichtung abgeschlossen ist. Im nächsten Schritt wird das Papier im Wasserbad fertig entwickelt, eine angenehme Abkühlung zwischendurch.

Eine Cyanotypie aus 2021, bei der ich ein altes Schwarz-Weiß Foto beschichtet und neu gestaltet habe

Impulse aus meinem Schaffen & Sensibilisieren von Papieren

Nach einer Mittagspause starte ich damit, eigene Cyanotypien, die in den vergangenen Jahren entstanden sind, zu zeigen. Und zwar solche, bei denen man unterschiedliche Möglichkeiten des Papier-Beschichtens einsehen kann. Denn dieser nächste Schritt ist für den Nachmittag geplant. Es ist einer, bei dem man auf vielseitige Art und Weise Eigenes in den Prozess des Cyanotypierens einbringen kann.
Durch das Auftragen der lichtempfindlichen Lösung mit Hilfe eines Pinsels, Schwamms oder Farbrollers hat man die Möglichkeit, einen Untergrund, zB ein Papier, individuell zu gestalten.

Auch verhält sich die Farbe nicht immer gleich stark, viele der Blau-Schattierungen und Schichtungen, die man im Endeffekt sehen wird, entstehen durch Zufall, auch deswegen, weil dieser Prozess in einem leicht abgedunkelten Umfeld passieren muss. Einiges anderes wiederum kann aber auch bewusst gesteuert und umgesetzt werden. Für die Beschichtung habe ich den Teilnehmerinnen einige besondere Büttenpapiere, aber auch Papiere, die lachs-, oliv- oder ockerartige Farben besitzen, mitgebracht. Wir arbeiten aber auch mit gängigen weißen Aquarell-Bögen. Die Erweiterung um einen andersfärbigen Untergrund ist eine, die ich in meinen Anfängen bald für mich entdeckt habe. Es ist die Möglichkeit, ein Blau in anderen Nuancen zu bekommen, ...da mischen sich dann Petrol- oder Lila-Farbtöne mit ein und sorgen für eine schöne Abwechslung.

Tagesausklang mit Ton & Tönen

Am späteren Nachmittag dieses ersten Tages ziehe ich mich in den kleinen Freskensaal der Musikschule zurück, in dem ich am darauffolgenden Tag ein Konzert geben werde. Ich nütze den Moment, um das Klavier kennenzulernen, um zu improvisieren und um J.S.Bach zu spielen. Eine Musik, die mich immer enstpannt und gerade in intensiven Zeiten wieder auf den Boden holt.

Um 21:00 gibt es dann vor der Kirche im Rahmen der Styriarte Klangwolke die Übertragung von Beethovens EROICA, und zudem noch die schöne Möglichkeit, währenddessen ein Stück Ton zu bearbeiten; die Töne von Beethoven sozusagen zeitgleich in Ton zu formen. Eine für mich neue, sehr stimmige und auch erdende Erfahrung. Während dieser 45 Minuten bin ich wie abgetaucht, scheinbar gedankenlos, einerseits den kühlen Ton in meinen Händen fühlend, wie er sich formt und verändert, andererseits der Musik lauschend; aber auch die gesamte Atmosphäre dieses Sommerabends, dieses Platzes, der Menschen, die hierher gekommen sind, genießend. Später, als ich wieder in meinem Zimmer bin, die kleine Ton-Skulptur betrachtend, taucht eine Kindheitserinnerung auf, oder eher das Gefühl einer solchen: viele Jahre habe ich leidenschaftlich gern getöpfert, der Geruch des Kellers von Frau Göbel ist mir heute noch in lebhafter Erinnerung. Und dass diese Erinnerung wiederum auch mit klassischer Musik gut harmoniert, die mich ja vor allem in meiner Kindheit und Jugend ständig umgeben hat, verwunderte mich dann nicht weiter...

 
 

Im Flow sein

Unser zweiter Tag beginnt mit neuen Experimenten in Blau, bei denen wir erstmals das am Vortag beschichtete Papier verwenden. Es ist spannend zu beobachten, wie anders dieses teilweise reagiert, wie die Möglichkeiten variieren und uns zu neuen Ideen bringen. An diesem Tag stelle ich noch einige Erweiterungen vor, mit Hilfe derer man wieder neue Formen und Strukturen auf Papier bringen kann: das Beschreiben oder Bezeichnen von Transparent-Papier, das Arbeiten mit Foto-Negativen sowie das händische Verändern dieser, Frottage auf Transparent-Papier, sowie die Anwendung von Papier in unterschiedlichen Stärken und Strukturen als Möglichkeit, Schichten zu kreieren. Es ist schön, zu beobachten, wie die Technik der Cyanotypie von allen nun schon ganz selbstverständlich ausgeübt wird und das wiederum bei den Teilnehmerinnen zu einem natürlichen, spielerischen Tun und Schaffen führt. Beim Arbeiten mit selbst sensibilisiertem Untergrund kommt außerdem hinzu, dass die Belichtungszeit wesentlich länger ist als beim Solarpapier, was dem ganzen Prozess und dem aufgeregten Tun vom Vortag etwas das Tempo nimmt und somit eine neue Langsamkeit einziehen lässt. Und damit wiederum Raum schafft für den Austausch über den kreativen Prozess.

Silent Walk mit musikalischem Ausklang

Am Ende dieses Kurstages findet eine Veranstaltung der Reihe Sommerfrische.Kunst statt, bei der ich eingeladen wurde, einen Silent Walk mit anschließendem kleinen Solo-Konzert zu gestalten. Um halb sieben treffen wir einander vor der Kirche, ein kleines Grüppchen an Menschen, die ich mit einem Impuls-Blatt willkommen heiße, bereits schweigend. Es sind ein paar Zeilen, die ihnen dabei helfen, im Hier und Jetzt anzukommen.

Und so machen wir uns kurz darauf, begleitet von den laut-schallenden Klängen der abendlichen Kirchenglocken, auf den Weg, und lassen diese Geräuschkulisse mit jedem Meter leiser hinter uns. Als der letzte Schlag verklungen ist sind wir schon ein Stück weit draußen aus dem Zentrum und ich nehme diesen Moment, in dem man plötzlich unser alle Schritte auf dem Asphalt deutlich hören kann, wie einen Szenenwechsel in einem Film wahr... kurz darauf mischt sich das Rauschen des Wassers an einem Mühlrad, an dem wir vorbeigehen, ins akustische Geschehen, um dann bald wieder leiser zu werden, auszuklingen. Es tut sehr gut, die Schritte an diesem Abend so bewusst und langsam zu setzen, die Menschen hinter und neben mir zu spüren, das gemeinsame Schweigen zu erleben.
Nach einer etwa 30 minütigen Runde in der immer noch recht intensiven Abendsonne kommen wir wieder beim Schloss an. Dort führt uns der Weg nach oben in den kleinen Freskensaal der Musikschule, in dem ein kleiner Sitzkreis an Stühlen rund um einen Flügel aufgebaut ist. Wir kommen im Raum an und jeder findet seinen Platz. Auf den Stühlen ist das zweite Impuls-Blatt aufgelegt, das ich für den Innenraum vorbereitet habe. Ich beobachte, wie mich die leicht aufkommende Unruhe im Raum durch unser aller Ankommen zuerst verunsichert, schaffe es dann aber, wieder in meine Ruhe zu kommen und jedem Menschen die Zeit zu geben, die er braucht.
Und dann wird es still im Raum. Eine Stille, die ich kurz da sein lasse um dann in Klänge vom Klavier überzugehen. Und auch dieses Mal wieder bin ich erfüllt und fasziniert von dem Gefühl, das sich in mir breit macht, wenn die Schwingungen der Klänge die Stille ablöst und den Raum zu füllen beginnt. Klänge, die ohne der vorangegangenen Stille nie so wirken würden. Ich singe und spiele vier Stücke die ich jeweils mit kleinen Improvisationen verbinde und nehme während all dem im Publikum eine schöne, entspannte Atmosphäre wahr. In einem Moment muss ich singenderweise schmunzeln, oder schmunzelnderweise singen? - als eine schon recht betagte Dame in der ersten Reihe, — sie hat der Spaziergang und die Klänge offenbar müde gemacht — leise zu schnarchen beginnt... Das sind Momente, in denen ich mich sehr fokussieren muss um nicht zu lachen, – ein gar nicht böse gemeintes Lachen, denn ich war auf eine Art gerührt, dass meine Musik ihr zu einer solchen Enspannung verholfen hat. Nach dem vierten Song gebe ich nochmal der Stille Raum, dann folgt Applaus und ich richte nun auch gesprochen einige Worte an die Menschen im Raum, die an diesem Abend viel mehr als ein Publikum sind. Haben wir doch schon ein gemeinsames Erlebnis hinter uns, eines, das uns auf eine besondere Art verbunden hat. Nach dem Konzert ist noch Raum für Austausch, den ich sehr genieße. Rückmeldungen und Umarmungen, ein Gefühl der Verbundenheit und Dankbarkeit für die Möglichkeit, hier an diesem Ort, in diesem Rahmen, all jene mir so wichtigen Herzensangelegenheiten nach außen tragen zu dürfen. Kunst. Stille. Klang.

Kreative Fülle & Visuelle Stille

Morgens, bevor ich den letzten Tag meiner Atelierklasse beginne, sitze ich noch eine halbe Stunde am Hauptplatz auf einer Bank und beobachte die Störche, die hoch oben auf einem Kamin in einem Nest hausen. Die Abende davor an diesem Ort waren von den munter-quietschenden Geräuschen der zahlreichen Schwalben geprägt, die unaufhörlich durch die Lüfte flitzten. An diesem Morgen ist der Platz ist noch leer, die Luft angenehm frisch, und ich genieße diesen Zwischenraum schreibend, der auf seine Art der letzte in diesem Aufenthalt sein wird.

Später, wieder im Atelier, beginnen wir unseren Tag zum einen im Zeichen der Weiterverarbeitung, zum anderen aber auch schon im Sichten und Auswählen der bisher entstandenen Arbeiten. Denn am Nachmittag steht unsere Werkschau an, bei der wir ausgewählte Bilder zeigen werden. In den vergangenen zwei Tagen ist so viel an interessantem Material entstanden, dass es an der Zeit ist, sich einen Überblick zu schaffen. Dazu gebe ich einen Impuls weiter, der mir selbst oft sehr hilft: Arbeitstisch freiräumen und sich von Dingen trennen, die nun keine Aufgabe mehr erfüllen. An diesem Vormittag stelle ich dabei auch eine Parallele zum Vorabend fest, an dem die Stille als Basis der Musik diente. Und so unterstützt uns nun die visuelle Stille in Form der freigeräumten Tischflächen beim Überblick- und Klarheit verschaffen. Das fühlt sich auch nach einem stimmigen Ausgleich zu dieser kreativen und im besten Sinne chaotischen Fülle der letzten Tage an. An diesem Punkt angekommen darf überlegt werden, welche der Bilder sich bereits „fertig“ anfühlen, und welche noch weiterverarbeitet werden könnten.
Ich habe in meiner eigenen Entwicklung miterlebt, dass das, was ich anfangs als “nicht gelungen“ abgeschrieben hatte, später oft viel Potential in sich barg, als ich mich auf die Suche nach anderen Verarbeitungs-Möglichkeiten machte. Oft brauchte es dafür nur einen bestimmten Ausschnitt und den dazugehörigen Rahmen, um die Gebilde und Kreaturen in neuem Licht zu erkennen. Manchmal brauchte ich aber auch einfach nur den Mut, Bestehendes zu zerschnipseln und als Collage neu zu gestalten.

Am späten Vormittag denken wir dann schon konkret an unsere bevorstehende Werkschau und ich lade die Teilnehmerinnen ein, sich ihre Werke im Ausstellungskontext vorzustellen und aufzulegen um herauszufinden, was und ob sie „rundherum“ noch etwas benötigen. Ob die Arbeiten für sich sprechen oder zum Beispiel in Kombination mit den Naturmaterialien, die bei der Entstehung verwendet wurden, auftreten wollen. Auch das Rahmen eines Bildes bewirkt oft eine erstaunliche Veränderung, und manchmal reicht es auch, die Arbeit auf ein weißes Blatt zu legen um sie mit der benötigten “ visuelle Ruhe” zu umgeben. Und dann wiederum gibt es Bilder, die im „rohen“ Zustand am stimmigsten sind.
Im spielerischen ausrobieren, auflegen und aufhängen verbringen wir also die letzten gemeinsamen Stunden unseres Kurses und aus der Fülle an Bildern, Pflanzen und anderen Materialien findet schlussendlich eine stimmige Auswahl an Kunstwerken auf den Tischen der Teilnehmerinnen ihren Platz.

Ausklang bei der Werkschau am Sonntag

Unsere Werkschau gestalteten wir gemeinsam mit der Atelierklasse von Simon Reitmann, der mit seinen Teilnehmer*innen sehr ansprechende Skulpturen gestaltet hat, die unsere blauen Bilder wunderbar im Raum ergänzen. Und somit klingen diese inspirierenden und erfüllenden Tage in Pöllau bei einem geselligen Beisammensein mit herrlichem Birnensaft und selbstgebackenen Brownies gemeinsam mit den Besucher*innen der Ausstellung sowie dem Team von Styrian Summer Art aus.

 
 


Mein herzlicher Dank geht an dieser Stelle an Michaela Zingerle und Peter Brandl von Styrian Summer Art für die Einladung, meine Kunst, meine Klänge und das gemeinsame Erleben von Stille in diesem Rahmen umsetzen und teilen zu dürfen.

 
 
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